Schulbegleithund, Schulhund, Klassenhund, Pädagogikbegleithund, Lernbegleithund – es gibt keine einheitliche Bezeichnung im deutschsprachigen Raum für Hunde, die im Bereich hundegestützter Pädagogik in der Schule eingesetzt werden. Mehr und mehr setzt sich der Begriff „Schulbegleithund“ durch.
Gemeint ist mit allen Bezeichnungen ein Hund, der seinen Menschen (i.d.R. Lehrer, Schulsozialarbeiter, Erzieher…) regelmäßig in die Schule begleitet. Seit Beginn der 2000er etabliert sich dies zunehmend in Schulen – mit allen Vor- und Nachteilen – und inzwischen gibt es qualifizierte Weiterbildungen für PädagogInnen speziell zu diesem Thema. Ich selbst begleite Schulhund-Teams seit 2008 in einer Weiterbildung zur hundegestützten Pädagogik in Deutschland. Dort arbeiten wir gemäß den Anforderungen des „Qualitätsnetzwerk Schulbegleithunde e.V.“ (www.schulbegleithunde.de) in einem multiprofessionellen Team aus PädagogInnen und HundetrainerInnen.
In zahlreichen Untersuchungen wurden die positiven Auswirkungen von Hunden auf die (Lern)Atmosphäre, auf das Lern- und Arbeitsverhalten, auf das körperliche Wohlbefinden und auf die positive sozial-emotionale Entwicklung von Kindern nachgewiesen. So konnten z.B. Blutdruck- und Herzfrequenz in Anwesenheit eines Hundes nachweislich gesenkt werden. Das Selbstwertgefühl wird bei vielen Schülern positiv beeinflusst, da Hunde keine Wertungen abgeben. Hunde in der Schule steigern die Beteiligung am Unterricht, wecken Neugierde, motivieren, helfen Regeln einzuhalten und fördern die gegenseitige Rücksichtnahme – um nur einige Beispiele zu nennen. (s. in einschlägiger Literatur bei Beetz, Kotrschall, Prothmann, Agsten u.a.)
Ist es auch für den Hund ein Gewinn?
Viele PädagogInnen erfüllen sich daher mit der Möglichkeit, den Hund in der Schule sinnvoll einsetzen zu können, einen Herzenswunsch. Aus Hundetrainerinnen-Sicht stellt sich mir dabei allerdings die Frage: Ist es auch immer der Herzenswunsch des Hundes?!
Es steht außer Frage, dass die meisten Hunde lieber bei ihren Menschen sind als allein daheim. Genauso steht außer Frage, dass der Einsatz eines Hundes in der Schule sehr gut vorbereitet werden muss und – je nach System und Größe der Institution, Klassenstärke, Schülerklientel – nicht nur für den Hund sehr belastend ist, sondern auch im hohen Maße für den Menschen. Es ist deutlich mehr zu organisieren im Schulalltag mit Hund versus ohne Hund. Insbesondere die zusätzliche Aufmerksamkeitsteilung mit Hund zum eigentlichen „Tagesgeschäft“ der Pädagog:in, ist ein oftmals unterschätzter Stressor.
Neben dem zusätzlichen Stress bedeutet diese Aufmerksamkeitsteilung aber auch, dass das Wohlergehen des Hundes in der Schule/ Klasse nicht immer zu 100% gut im Blick sein kann und sein Befinden mehr oder weniger aus den „Augenwinkeln“ eingeschätzt werden muss. Damit sind wir wieder bei der sehr guten Vorbereitung des Hundes für den Schuleinsatz, damit dieser Strategien zur Verfügung hat, mit belastenden Situationen in der Schule umgehen zu können. Dies macht auch mehr als deutlich, dass besonders der Mensch gut vorbereitet und weitergebildet sein muss, um diese Anforderungen im normalen Unterricht zusätzlich erfüllen zu können!
Körpersprache richtig lesen
In meiner bald 15-jährigen Praxis in der Weiterbildung im Bereich hundegestützter Pädagogik hat sich gezeigt, dass es vielen PädagogInnen zunächst schwer fällt, ihren Hund richtig einzuschätzen. Die Körpersprache, die Stresssignale, das Konfliktverhalten des eigenen Hundes zu lesen ist mitunter eine große Herausforderung. Insbesondere als „Hundeanfänger“, aber auch 30 oder 40 Jahre Hundeerfahrung bedeuten letztendlich nur Erfahrung mit ein, zwei vielleicht drei Hunden. Dazu kommen eventuell noch eingefahrene Verhaltensmuster oder veraltete Glaubensätze, welche den achtsamen Umgang erschweren und zu Fehlinterpretationen der Körpersprache des Hundes führen. Es gibt also für einen ausgewogenen Schuleinsatz nicht nur beim Hund sehr viel zu lernen.
So nicht…
Dass dieses Lernen in Bezug auf Lernverhalten und Körpersprache des Hundes bei der ganzen Begeisterung zum Einsatz des Hundes und den offensichtlich positiven Auswirkungen auf die Schüler oftmals vernachlässigt wird, zeigt sich leider immer wieder deutlich auf Websites, bei Facebook oder in anderen sozialen Medien in Form von Fotos von überforderten und instrumentalisierten Hunden:
- Hunde, umringt von zig streichelnden Kindern, ohne dass sie die Möglichkeit haben, die Situation zu verlassen.
- Hunde, denen zur Übung der Feinmotorik oder für Übungen der Zuordnung Klammern im Fell, am Geschirr/ Halsband befestigt werden.
- Hunde, die unter Schülern liegen, damit die Kinder entspannt vorlesen können und die wohltuende Nähe des Hundes spüren können.
- Hunde, die angezogen werden (Brillen, Haarreifen, jahreszeitlich bedingt Nikolausmützen etc….), weil…???
Dutzende und mehr Fotos von lachenden Kindern und gestressten Hunden, dutzende und mehr Kinder, die diese Dinge dann an den eigenen Hunden zuhause ausprobieren, da durch den Schulhund als Modell signalisiert wird, dass man dies mit Hunden tun kann?! Dadurch ist der sichere Umgang von Kind und Hund im häuslichen Umfeld gefährdet und jegliche sinnvolle Bissprävention wird zunichte gemacht!
Das Angebot und der Austausch von Einsatzmöglichkeiten und Ideen mit Hund im Unterricht verbreiten sich immens – i.d.R. ohne angemessene Anleitung zum Training oder zur Vorbereitung des Hundes für diese Einsätze. Trainingspläne zu den Übungen werden nicht erklärt. Es wird nicht besprochen, wie der Hund an die Übung gewöhnt wurde.
Ist der Grund dafür, dass dieses Wissen um Körpersprache, Stress und Lernverhalten des Hundes bei allen Pädagog:innen vorausgesetzt wird? Ist dieses Wissen als Pädagog:in „automatisch“ vorhanden? Ist der Transfer der Lerntheorie in die Praxis mit Hund – auf Grundlage positiver Verstärkung, wie es schon in den „Prager Richtlinien“ der IAHAIO von
1998 festgelegt wurde – durch jeden so einfach zu leisten? Können alle Pädagog:innen im Rahmen der vier Quadraten der operanten Konditionierung sicher beurteilen, welche Auswirkungen ihr Umgang und/ oder das ihnen ggf. empfohlene Training hat? Meiner Erfahrung nach: Nein.
Nicht alle Pädagog:innen, die ihren Hund einsetzen und die Beispiele auf Websites und in sozialen Medien lesen und übernehmen, haben eine qualifizierte Weiterbildung absolviert. In dieser sollten sie nicht nur die Möglichkeiten, sondern insbesondere die Grenzen eines umsichtigen Einsatzes des Hundes kennen lernen.
Den Hund unterstützen
Darüber hinaus sollten sie dort das notwendige Know-How erwerben, die Vorbereitung und das praktische Training des Hundes auf Basis positiver Verstärkung umzusetzen und auch lernen, unerwünschtes Verhalten „positiv“ zu unterbrechen (anstelle des vielbemühten „Nein“ ohne Informationsgehalt für den Hund). Sie sollten verschiedene Signale, Rituale und Gewöhnungsübungen und deren Aufbau kennen, (z.B. ein Umorientierungssignal, Markersignal, Boxentraining, Targets, Entspannung, Struktur einer gelenkten Interaktion…) um ihren Hund optimal unterstützen zu können. Und ebenso auch entscheiden, dass es Zeiten gibt, in denen es nicht angebracht ist den Hund mit in die Schule zu nehmen. Nur so kann der Einsatz mittel- und langfristig auch für den Hund ein Gewinn sein.
Es bedarf eines großen Engagements, seinen Hund mit in die Schule zu nehmen. Niemand möchte seinem Hund durch den Einsatz schaden. Daher sollte dieses große Engagement in Bezug auf „Lesen lernen des Hundes“, Training des Hundes und einer sauberen Gewöhnung des Hundes an die Anforderungen in der Schule in Theorie und Praxis ebenfalls auf einem hohen Niveau umgesetzt werden. Der Einsatz eines Schulhundes kann nicht „nebenbei“ stattfinden!
Es geht bei der Arbeit des Hundes in der Schule nicht um „höher, weiter, toller“. Wie viel Zeit bleibt bei einem sinnvoll begrenzten Einsatz in der Realität tatsächlich für gelenkte Interaktionen im Schulalltag, in denen der Hund nicht „nur“ präsent ist? Auch diese reinen Präsenzzeiten stellen hohe Anforderungen an den Hund und müssen gut durchdacht sein!
Die wichtigste Frage sollte daher nicht lauten „Wie kann ich meinen Hund in der Schule einsetzen?“ sondern: „Wie geht es meinem Hund in der Schule und bin ich in der Lage, dies objektiv zu beurteilen?!“